Harro Hieronimus: Zum Thema Qualzucht

Goldfisch mit ballonförmig vergrößertem Leib

Eine Zuchtform des Goldfisches mit ballonförmig vergrößertem Leib und einer in Zweizahl vorhandenen, schleierförmig ausgebildeten Schwanzflosse

Die Untersuchung von Fischen hat bis heute noch nicht endgültig die Frage beantworten können, ob Fische bestimmter Zuchtformen leiden. Dies kann nur vermutet werden. Da aber auch Zuchtformen im Handel sind, bei denen die Fische scheinbar nicht leiden, die aber aufgrund von Körperdeformationen oder äußeren Eingriffen manipuliert wurden, werden die Zuchtformen, die Wesensmerkmale oder Veränderungen zeigen bei denen nicht ausgeschlossen werden kann daß die Fische deswegen - zeitweise oder dauernd - unter großem Streß stehen, als unerwünschte Zuchtformen bezeichnet. Der BNA (Bundesverband für fachgerechten Natur- und Artenschutz e.V.) wendet sich gegen den Import und die Pflege unerwünschter Zuchtformen. Einige wenige Zuchtformen werden auch als Qualzucht bezeichnet.
Die dem BNA angeschlossenen aquaristischen Vereinigungen erklären den freiwilligen Verzicht auf die unerwünschten Zuchtformen und Qualzuchten.
Grundsätzlich gilt, daß vor allem bei der Zucht darauf geachtet werden muß, daß nur gesunde Fische zur Zucht eingesetzt und nur solche auch gehandelt werden sollten. Die Aquarianer wollen generell vitale, gesunde und nachzuchtfähige Fische pflegen.

Flossenverlängerungen

Flossenverlängerungen an sich, auch wenn sie bei einigen Lebendgebärenden das Gonopodium betreffen, sind keine Schwimmbehinderung eines gesunden und unter guten Bedingungen erzüchteten Fisches. Die verantwortlichen Gene - wie etwa das Lyra-Gen - führen zwar zu einer Flossenvergrößerung, diese ist aber begrenzt. Beim Lyra-Gen sind die äußeren Flossenstrahlen der unpaarigen Flossen betroffen und wachsen deutlich größer heran als bei den Ausgangsformen ohne Flossenverlängerung. Schon bei halbwüchsigen Fischen ist aber die endgültige Flossenform erreicht, die Proportionen bleiben erhalten. Beispiele dafür sind der Lyra-Molly (Poecilia sp.), die Lyraflosser der Xiphophorus-Arten, die Simpsonflosser (nur hohe Rückenflosse bei Xiphophorus- Arten), der so genannte Gießener Guppy (Poecilia reticulata) sowie die schleierflossigen Kardinälchen (Tanichthys albonubes). Im Rahmen einer freiwilligen Einschränkung im europäischen Standard der Guppyzüchter (Internationaler Hochzucht-Standard IHS) haben die Guppyzüchter eine Längenbegrenzung der Schwanzflosse der großflossigen Rassen verankert. Scheinbare Schwimmprobleme der großflossigen Rassen beruhen in der Regel auf falscher Pflege. Ausdrücklich wird das Beschneiden von Flossen zum Erreichen einer besseren Schwimmfähigkeit abgelehnt. Im entsprechenden Standard sind für solche Fische auf Ausstellungen Sanktionen vorgesehen, die eine solche Handelsweise für Ausstellungungs- und damit auch Zuchtzwecke uninteressant machen.

Schleierflossiger P.Scalare

Bei Schleierflossigen P. scalare unterliegen die Flossen einem permanenten Wachstum

Als unerwünschte Zuchtformen dagegen gelten Flossenformen, bei denen ein Gen für ein lebenslanges, ungebremstes Flossenwachstum verantwortlich ist. Zu diesen Zuchtformen zählen der Berliner Guppy, die schleierflossigen Xiphophorus-Arten sowie einige Salmler (Gymnocorymbus ternetzi, Schleier-Trauermantelsalmler). aber auch Buntbarsche wie Mikrogeophagus ramirezi in ihren jeweiligen Schleierformen. Auch die Hypertrophie des Segelflosssers (Pterophyllum scalare) zählt hierzu.
Charakteristikum dieser Fische ist, daß sie als halbwüchsige Arten in den Handel kommen, bei denen die Flossenverlängerungen bereits sichtbar sind, aber noch nicht zu einer Einschränkung der Schwimmfähigkeit geführt haben. In ausgewachsenem Zustand sind jedoch Einschränkungen erkennbar, die Fische können sich nur noch unter schlängelnden, unnatürlichen Bewegungen fortbewegen. Für diese Fische sollte ein Handelsverbot ausgesprochen werden.
Grundsätzlich ist es von untergeordneter Bedeutung, ob die Flossen verändert sind oder - wie bei manchen Goldfisch-Zuchtformen - vollständig fehlen, solange dadurch das Schwimmverhalten und die Möglichkeit zur Nahrungsaufnahme auch in Gesellschaftsaquarien nicht deutlich beeinträchtigt werden.

Wucherungen

"Rotkäppchen" mit roter Wucherung auf dem Kopf

"Rotkäppchen", eine Zuchtform des Goldfisches mit Wucherungen auf Kopf und Rücken

Sofern Wucherungen auf dem Kopf oder den Kiemen die Seh- oder Atemfähigkeit des Fisches einschränken, werden Zucht und Handel dieser Fische abgelehnt. Beim Löwenkopf-Goldfisch (Carassius auratus) ist bei der Zucht auf eine mäßig große Kappe zu achten, Fische mit zu großen Kappen - auch wenn das Auge noch voll kommen frei ist - sind von der Zucht auszuschließen. Leider kommen immer wieder Goldfische in den Handel, die zu starke Wucherungen haben, bei denen dann die Augen vollkommen überdeckt sind. Auch diese Zuchtform soll als Qualzucht mit einem Handels- und Importverbot belegt werden. Es ist nicht akzeptabel - aus welchen Gründen auch immer -, wenn Fische um des Aussehens willen erblinden müssen.
Beim Blasenaugen-Goldfisch ist unter dem Auge eine große Wucherung vorhanden. Dadurch ist die Sehfähigkeit eingeschränkt. Durch das Seitenliniensystem ist zwar ein normales Schwimmen möglich, da aber die Blasen besonders empfindlich sind und nicht festgestellt werden kann, ob diese Zuchtform nicht doch eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität des Fisches bedeutet, handelt es sich um eine unerwünschte Zuchtform, die Handelsbeschränkungen unterliegen sollte.
Eine besondere Form der Wucherung stellt der Farbkrebs dar, der bei bestimmten Zuchtformen von Xiphophorus-Arten auftreten kann. Die Anlage zum Farbkrebs liegt bei den handelsrelevanten Formen dann vor, wenn größere schwarze Flecken mit daraufliegendem Guanin vorhanden sind (Berliner Schwertträger). Die Zuchtverbände haben in ihren Standard deutliche Hinweise aufgenommen, daß die Nachzucht nur mit wenig gescheckten Fischen erfolgen darf. Farbkrebs ist dort unerwünscht, da die Fische weder ausstellungs- noch zuchtfähig sind und es sich um eine starke Wertminderung handelt.
Zwar sind aus der Melanomforschung weitere, Farbkrebs auslösende Gene bekannt, die auch farblose und andersfarbige Fische befallen, sie sind jedoch in der Hobbyzucht und im Handel nicht relevant und wegen ihrer wertmindernden Wirkung auch nicht zu erwarten. Fische mit Farbkrebs gelten generell als unerwünschte Zuchtformen.

Albinismus

Albinismus beruht auf dem natürlichen Fortfall der pigmentbildenden Gene.
In Sonderfällen (bei Xiphophorus und Poecilia sind auch Albinos mit einer roten oder schwarzen Deckfarbe möglich. In den heute im Handel und bei den Züchtern befindlichen Stämmen sind keine Einschränkungen gegenüber den Wildformen sichtbar. Deswegen reicht das Auftreten von Albinismus nicht aus, eine Zuchtform pauschal als unerwünscht zu bezeichnen.

Melanismus

In seltenen Fällen, so beim Segelflosser, P. scalare, ist bei einer Schwarzfärbung eine deutliche verringerte Vitalität und Fertilität zu beobachten. Der genaue Vererbungsgang ist bei Norton (1991) nachzulesen. Diese Zuchtform zählt zu den unerwünschten Formen.

Veränderungen des Skeletts

Obwohl die bislang bekannten, handelsrelevanten Zuchtformen mit Skelettdeformationen nicht erkennen lassen, daß diese Fische leiden, sind diese Zuchtformen je doch vorbeugend abzulehnen, da wahrscheinlich nur bei sorgfältiger Zusammenstellung von Zuchtpaaren und optimalen Pflegebedingungen größere Schädigungen bei einem Teil der Nachzucht ausbleiben. Zu diesen Zuchtformen gehören der sogenannte Ballonmolly (Poecilia sp.) sowie der Papageienbuntbarsch (Amphilophus labiatus).
Besonders bei letzterer Art kommt es zu Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme, so daß der dringende Verdacht besteht, daß es sich hier tatsächlich um eine Qualzucht handelt. Da diese Fische dadurch erheblich in ihren Lebensäußerungen eingeschränkt werden und sich nicht normal fortpflanzen können, liegt hier aus Sicht des BNA und der DCG eine Qualzucht vor. Ein Handels- und Importverbot wird derzeit beantragt.
Bei älteren Aquarienfischen tritt manchmal eine Krümmung der Wirbelsäule auf. Hier handelt es sich um eine Alterserscheinung, teilweise auch um eine Krankheitserscheinung (Fischtuberkulose), die auch in der Natur auftritt. Betroffene Fische sind aus der Zucht zu entfernen. In seltenen Fällen ist eine Wirbelsäulenverkrümmung auch eine spontan auftretende genetische Schädigung in Nachzuchten (Lordose).
Zuchtversuche mit diesen Stämmen sind einzustellen.
Gelegentlich kommt es bei Aquariennachzuchten zu einer Deformation des Schädeldachs (Mopsköpfigkeit), die für die betroffenen Fische keine Einschränkungen mit sich bringt. Da sich dieser Effekt aber in den Nachzuchtgenerationen verstärken und da mit zu Einschränkungen führen könnte, ist eine Zucht mit diesen Fischen nicht wünschenswert.

Weitere Mutationen

Mutationen treten in der Regel spontan auf. In Aquariennachzuchten fallen diese Mutationen eher auf als in der Natur, wo sie fast immer auf natürliche Weise selektiert werden. Sofern diese Mutationen eine Beeinträchtigung der Vitalität bedingen, werden sie als unerwünschte Zuchtformen abgelehnt. Im einzelnen können dies sein:

So weit sich Mutationen nur auf die Farbe beziehen, sind sie nicht abzulehnen. Wie im Albinismus, dies ist eine Sonderform, fallen hier bestimmte Farbpigmente aus, wodurch andere verstärkt werden. Bekannteste Farbmutation ist wahrscheinlich der Black Molly.

Im Handel häufig zu finden sind die vielen verschiedenen Farbformen von Segelflosser und Diskus, wobei die Geschmäcker verschieden sind und viele Liebhaber die Naturformen bevorzugen.
Bei den Cichliden ist in Asien derzeit der Trend zu finden, daß etliche Cichlasoma-Arten Mittelamerikas - teilweise auch größere Exemplare - in großen Mengen gezüchtet werden, dabei fielen auch Mutationen an. Die rötlichen Mutationen wurden selektiert und in größeren Mengen gezüchtet Wegen des großen Bedarfs in den Zuchtländern, der mangelnden Nachfrage nach mittelamerikanischen Großcichliden bei uns sowie den teilweise sehr hohen Preisen ist ein Auftreten bei uns für die nächste Zeit kaum zu erwarten.

Äußere Manipulationen

roter Papageienbuntbarsch

Der "Papageienbuntbarsch" sollte als verbotene Qualzüchtung eingestuft werden.

Fischarten, die äußerlich manipuliert werden, werden grundsätzlich als unerwünscht abgelehnt. Dies betrifft besonders die tätowierten Fische (Corydoras aeneus, Barbus schwanefeldii, Ambassis sp., Kryptopterus minor). Für diese Fische wird ein strenges Handelsverbot befürwortet. Das gilt auch für die mit vermutlich Lebensmittelfarben in letzter Zeit in den Handel gekommenen gefärbten Papageienbarsche. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Farbe den Fischen schadet. Diese Manipulation ist vollkommen überflüssig, immerhin handelt es sich um Lebewesen.

künstlich eingefärbte Papageienbuntbarsche

Seit neuestem eien Verkaufsschlager: Künstlich eingefärbte "Papageienbuntbarsche gibt es in allen Farbtönen

Transgene Fische

Seit neustem sind - zumindest in Asien und den USA - Exemplare von Oryzias latipes (Reiskärpfling, Medaka) im Handel, die durch Genmanipulation im Ei und Insertion von Genen fluoreszierender Quallen diese Gene einbauen und deswegen im Dunkeln fluoreszieren (leuchten). Sie werden auch als „Glow in the Dark“ bezeichnet. Sie sollen steril und damit biosicher sein. Ich halte jedoch eine solche Manipulation für überflüssig. Es ist auch zu vermuten, daß diese Fische nicht artgerecht gehalten wer den, da das Fluoreszieren im normal be leuchteten Aquarium so gut wie nicht zu er kennen sind, die Fische sind nur etwas grün lich. Erst im dunklen Aquarium kommt das Leuchten zur Geltung. Um die Fische erst überhaupt nicht diesem Streß auszusetzen, ist dies aus meiner Sicht auch eine unerwünschte Zuchtform.

Amphilohpus trimaculatus X A. citrinellus

Amphilohpus trimaculatus Χ A. citrinellus

"Flower Horn" eine gelbe "Zuchtlinie" des Amphilohpus trimaculatus X A. citrinellus

Die Kreuzung A. trimaculatus x A. citrinellus wird im Zoofachhandel als "Flower Horn" angeboten. Es existieren bereits mehrere "Zuchtlinien", die...

Kreuzungen

Amphilohpus trimaculatus Χ A. citrinellus Männchen mit ausgepägtem Stirnbuckel

...sich in der Farbausprägung stark unterscheiden. In den Handel gelangen wohl nur die Männchen mit stark ausgeprägtem Stirnbuckel

In letzter Zeit kommen immer mehr Kreuzungen auf den Markt. Vor allem betroffen sind Regenbogenfische und Cichliden, aber auch Welse (Panzer-, Harnisch- und Fieder­bartwelse) und Prachtschmerlen kommen
verstärkt aus Rußland und angrenzenden Ländern, wo sie mit Hormonen erzüchtet werden.
Für den normalen Aquarianer besteht aller dings die Problematik, diese Kreuzungen zu erkennen. Bei bestimmten Cichliden gattungen wie Aulonocara oder bei Regenbogenfischen ist dies für den Laien kaum möglich. Zusätzlich sind einige dieser Kreuzungen steril, ein Nachteil für Aquarianer, die züchten wollen.
Bei den Kreuzungen handelt es sich um einen Graubereich, was etwas erläutert werden soll. Viele Kreuzungen von Aquarienfischen gibt es seit nahezu 100 Jahren, so die von Schwertträger und Platy. Nicht zu verwechseln sind damit die durch Selektion und Mutation aufgetretenen Flossen- und Farbformen. Aber rote Schwertträger und Platys gäbe es ohne die Kreuzung dieser beiden Arten nicht.

"Goldenen Kaiserbuntbarsche". Ohne pseudowissenschaftliche Namensgebung hat diese Aulonocara-Zuchtform auch einen Platz im Aquarium einiger Liebhaber.

Hier ist allerdings schon ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu vielen neueren Kreuzungsprodukten zu finden. Kein Zoofachhändler käme auf die Idee, rote Platys oder Schwertträger ausschließlich mit wissenschaftlichem Namen und eventuell noch mit Fundort anzugeben. Bei Regenbogenfischen, aber auch zahlreichen Buntbarschen ist dies aber nicht der Fall. Hier werden die Fische von den Züchtern als vermeintlich neue Art in den Handel gebracht. Da dies in der Absicht geschieht, einen - ungerechtfertigten, da nur für neu importierte Arten üblicherweise gezahlten - höheren Preis zu erzielen, geschieht dieses Angebot aus meiner Sicht in Betrugsabsicht. Ebenso machen sich Händler nach meinen Dafürhalten strafbar, wenn sie solche Fische wider besseres Wissen anbieten, wenn sie also über den Kreuzungscharakter informiert wurden.
Dabei darf nicht verkannt werden, daß manche Kreuzungen selbst von Experten nicht von Wildfängen unterschieden werden können und sich dies die „Betrüger“ zunutzen machen. Hier ist nicht der Händler der Schuldige, sondern der Züchter oder Großhändler, der diese Fische mit einer bewusst falschen Bezeichnung zwecks Gewinnmaximierung in Umlauf bringt.
Wohl gemerkt, werden diese Kreuzungen korrekt bezeichnet in den Handel gebracht, spricht nichts dagegen. Da diese Fische oft steril sind, werden verantwortungsvolle Züchter sich kaum mit diesen Kreuzungen, sondern den reinen Arten (oder Fundortvarianten, die sich farblich manchmal deutlich unterscheiden) beschäftigen.
Ein „Blauer Regenbogenfisch“ oder ein „Goldener Aulonocara“ ohne jede pseudowissenschaftliche Bezeichnung wäre ebenso wie ein Roter Schwertträger oder ein Roter Platy ein Fisch, der seinen Platz im Handel finden kann.

Literatur

Mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Cichliden Gesellschft entnommen aus "DCG-Informationen Sonderheft 1 Oktober 2002", S.54-62

© by Harro Hieronimus